Freitag, 2. Dezember 2016

Politisches Erwachen und Spirituelles Erwachen


Ich war gestern Zuhörer einer Diskussion auf Okitalk, einem Mitmachradio, indem man sich per Voice Chat beteiligen kann. Ich bin hier noch ziemlich neu und habe mich daher unter die Zuhörer gesellt. Ich wollte mein Resümee, heute aber doch niederschreiben, da mir immer wenn ich mal hier auf Okitalk bin, ein bestimmter Diskussionspunkt auffällt, den ich sehr wichtig und bisher ungeklärt finde. Es geht um das Wort Erwachen im Bezug auf ein politisches Thema.

Häufig ergeben sich Diskussionen zwischen politisch und spirituell interessierten Menschen. Anscheint dient diese Plattform beiden Lagern gleichermaßen. Oft wird ein politischer Konflikt angeführt, der dann mit Hilfe des persönlichen und überpersönlichen von verschiedene Personen beleuchtet wird. Gestern ging es zb. darum, wie man die Gesellschaft verändern kann und was in Europa falsch läuft.

Ein Mitredner sagte, dass er eine persönliche Unabhängigkeit erreicht hat, was diese Verstrickung in die gesellschaftlichen und politische Probleme betrifft, und dennoch nicht die Augen verschließt. Ein anderer Redner regte die Zuhörer an, sich kritisch zu informieren und den Horizont zu erweitern. Wieder ein Anderer sagte, man sollte sich stärker mit der Gesellschaft beschäftigen.

Die Fraktion der Redner, die über die aktuelle Politik frustriert waren, haben gefragt wie der erste Redner zu seiner Unabhängigkeit gefunden hat. Es fiel das Wort Erwachen, welches aber die Frage irgendwie offen lies, da die politische Fraktion, meinem Gefühl nach, nicht so viel damit anfangen konnte. Ich kann das nachvollziehen, was der erste Redner meinte, da ich auch gerade dabei bin, mich mehr und mehr auf mich zu beziehen und daher die politischen und gesellschaftlichen Probleme mit mehr Abstand betrachten kann. Ich kann aber auch nachvollziehen, dass manche nicht verstanden haben, was gemeint war, und nehme wahr, dass dieses Wort Erwachen oft ungeklärt im Raum hängt oder falsch benutzt wird.

Ich bin manchmal etwas zurückhaltend mit meinen Antworten, und nicht so schnell auf dem Push-to-Talk Button, wie andere User, so kam ich irgendwie nicht dazu, eine Antwort zu geben. Was auch ganz gut war, denn so richtig konnte ich es erst heute morgen verstehen und für mich klären.

Denn es ist ein Thema was mich eigentlich schon länger beschäftigt. Ich nehme wahr, dass sich viele politisch interessierte Menschen für erwacht halten. Das war mir bisher unverständlich, vor allem da sich auch Menschen dazu zählen, die mit ihren politischen Gesinnungen alles andere als Frieden und Toleranz verbreiten, und das ist für mich mit dem Erwachen nicht vereinbar. Doch sie meinen damit, dass sie erkannt haben, wie sie von dem System, von den Politikern, Konzernen, und Mächtigen dieser Welt manipuliert, ausgebeutet und missbraucht werden. Ihnen geht es um das Erwachen aus dem Schlaf des blinden Vertrauens.

Das Wort Erwacht steht für mich aber ausschließlich für das spirituelle Erwachen. Ein Prozess, bei dem man durch Selbsterkenntnis seine eigene Göttlichkeit erkennt. Manche nennen dieses auch Erleuchtung. Jeder kennt wohl Jesus oder Buddha, oder aktueller Osho, Eckart Tolle, usw. die erwachte Personen des öffentlichen Lebens waren oder sind.

Jemand der das spirituelle Erwachen bis zu einem bestimmten Grad erfahren hat, der hat eben die Wahl, sich aus der leidvollen Verstrickung mit der Gesellschaft zurück zu ziehen, weil er erkennt, dass die Welt lediglich ein Spiegel des eigenen Selbst ist. Das Erwachen ist ein Nullpunkt aus dem die Welt entsteht. Meiner Meinung nach schafft sich jeder Mensch mit seinen Gedanken seine Realität aus diesem Nullpunkt, egal ob dieses bewusst oder unbewusst geschieht. 

Erwachen bedeutet für mich, dieses bewusst zu erkennen. Deshalb ist es so wichtig, sich auf sich selbst zu beziehen und nicht weiterhin zu versuchen, das Spiegelbild im Außen zu verändern. Die politischen Ereignisse, sind für mich nur ein Spiegelbild, aber sie sind nicht die Ursache. Wir selbst sind die Ursache. Und Veränderung kann nur in uns selbst geschehen, dann zeigt sie sich auch im Außen. Wer das nicht glaubt, kann das einfach mal ausprobieren.

Wenn jemand von erwachen redet, und aber ausschließlich meint, dass es darum geht, erkannt zu haben, dass wir vom System manipuliert werden, dann hat das bisher immer einen Konflikt in mir erzeugt. Bis heute :D

Denn heute morgen habe ich überlegt, wie das bei mir war. Ich interessiere mich für das spirituelle Erwachen, habe da auch Erkenntnisse gewonnen, bin aber lange lange noch nicht am Ziel und weit entfernt ein freies Leben führen zu können, weil ich noch nicht alles in mir angeschaut habe. Es ist so, dass ich mich gerade auf den Weg gemacht habe, und zum ersten Mal neue Wege gehe.

Ich habe überlegt, ob ich auf meinem Weg zum spirituellen Erwachen auch so eine Phase gehabt habe, wie all die politisch interessierten Menschen, die vom aufwachen reden. Und ja das habe ich tatsächlich gehabt. Allerdings in einem völlig anderen Kontext, weshalb ich das bisher nicht in einen Zusammenhang bringen konnte.

Das ist jetzt fast 10 Jahre her. Nur ging es dabei überhaupt nicht um Politik, sondern darum, dass ich erkannt habe, wie mich Menschen bewusst manipulieren. Und so verstehe ich auch, wie das Wort Gutmensch erfunden wurde. Ich war früher einfach kindlich naiv. Bei mir war das ganz konkret eine Situation auf der Arbeitsstelle. Für mich hatte diese Erkenntnis überhaupt nichts mit Politik zu tun. Aber es gab eines Tages diese Erkenntnis. Diese Erkenntnis hat verständlicherweise zu einer Unzufriedenheit geführt, aus der dann irgendwann der Wunsch nach Veränderung und erst später die spirituelle Suche wurde.

Aber nicht nur die Unzufriedenheit, sondern auch die Abdeckung der Grundbedürfnisse, wie Maslow es mit seiner Bedürfnispyramide anschaulich beschreibt, halte ich für essentiell, damit ein Mensch sich auf den Weg zu sich selbst macht. Und da hatte ich wohl einfach Glück, dass diese erfüllt waren. Sind die Grundbedürfnisse nicht gedeckt, hat der Mensch nicht die Chance, sich mit einem höheren Streben nach Erkenntnis zu beschäftigen.

Ob man sich auf den Weg nach innen aufmachen kann, hängt von vielen Faktoren ab. Man benötigt eine gewisse innere Kraft, um den eigene unbewussten Anteilen zu begegnen, ohne von ihnen überflutet zu werden. Deshalb funktioniert es eben auch nicht, Menschen einfach auf das Innen zu verweisen. Damit vergisst man den anderen Menschen in seiner individuellen Situation zu sehen. Gerne möchte wir immer wieder Menschen im Außen manipulieren, ohne zu bedenken, dass jeder einen eigenen Weg zu gehen hat. Auch ich muss mich immer wieder daran erinnern, weil ich der Welt so gerne etwas geben möchte. Dabei irgnoriere ich oft leider den individuellen Weg des Anderen. Ich darf noch viel lernen, denn ich weiß es ist Projektion, und Ausdruck meines nicht erlösten Egos. Genau wie dieser Blog und jegliches Wort, welches auf einem Bedürfnis beruht ausgesprochen zu werden.

Und was ein Redner gestern auch gesagt hat, es sei gut den Menschen Fragen zu stellen, dem stimme ich auch zu. Kohlberg, der über die Entwicklung von Moral in Stufen geschrieben hat, sagte auch, man müsse dem Kind fragen stellen, um es auf die nächst höhere Stufe von Moral zu bringen. Und darum geht es ja eigendlich in der Spiritualität um eine natürlich Ethik. Eine Ethik die frei von gesellschaftlichen Konditionierungen ist. Indem man Fragen stellt, verhindert man, dass man sein Weltbild einem anderen überstülpt und lässt dem Gegenüber die Freiheit, sich auf seine Art mit der Frage zu beschäftigen. 

Was man machen kann, ist das Talent eines Menschen zu sehen und ihn auf seinem Weg zu fördern. Dafür müssen wir aber unser Ego raushalten. Und das kann man erst wenn sich selbst sehr gut kennt und aufhört, die eigene Ideen anderen überstülpen zu wollen. Manchmal sind es auch nur kleine Egoteile, die dafür verantwortlich sind, dass wir Verzerrungen wahrnehmen und den Menschen nicht sehen. 

Dazu sollte man ein guter Menschenkenner sein, welches man ganz automatisch wird, wenn man beginnt sich selbst kennen zu lernen. Mir haben da Konzepte aus der Psychologie sehr geholfen. Wie zb. das Ennegramm, NLP, Tiefenpsychologie, etc.

Man kann Menschen die sich schon auf dem Weg der Veränderung befinden, helfen ihren persönlichen Weg zu gehen, aber nur wenn der Mensch das möchte. Man wird immer Menschen treffen, die noch nicht bereit sind, sich zu verändern. Dieses können wir nur annehmen. So schwer das auch fällt. Und gleichzeitig können manche vielleicht bereits erkennen, das alles bereits gut ist, wie es ist. Und das Menschen nunmal bestimmte Entwicklungsphasen durchmachen müssen, wie es im Model von Spiral Dynamics z.b. sehr gut beschrieben wird. Ich empfehle da das Buch Gott 9.0 von Marion Küstenmacher, welches  einen Konsens findet, zwischen spirituellen und politischen Fragen. 

Die Erkenntnis von dem Umwelt manipuliert zu werden, habe ich bis heute noch nie mit dem Spirituellen Erwachen in konkreten Zusammenhang gebracht, welches sich erst in den letzten Jahren in mein Leben gemogelt hat. Aber ich hatte heute die Idee, dass dieses „politische“ Erwachen und das Spirituelle Erwachen, evtl. im Zusammenhang stehen könnten. Jedoch darf man beides nicht in einen Topf werfen, denn dadurch entstehen Missverständnisse, die uns hindern dass unsere Gespräche fruchtbar werden.

Auch in der Spiritualität, in der es überhaupt nicht um Politik geht, ist es schwierig den Begriff des Erwachens genau zu definieren. Die einen denken man ist erst erwacht, wenn man ein Bewusstsein wie Buddha oder Jesus entwickelt hat und das Ego vollständig verbrannt ist. Das ist die Erleuchtung, ein Ziel, welches fast unnerreichbar ist. Die anderen fühlen sich erwacht, weil sie ein eindrückliches spirituelles Erlebnis hatten, welches das alte Realitätsbild erneuert und erweitert. Menschen wie Buddha oder Jesus sind meiner Meinung nach sehr sehr selten auf dieser Welt, falls es die überhaupt gibt.

Also woher kommen die ganzen Erwachten? Ich vermute es gibt bis heute kein vollständiges Entwicklungsmodell (nicht mal bei Ken Wilber oder so), welches den Prozess des Bewusst werdens umfassend genug beschreibt, um uns dafür eine korrekte Sprache zu liefern.

Das man die Probleme im Außen so stark wahrnimmt, nennt sich in der Psychologie Projektion. Man projiziert einen inneren Konflikt auf das Außen. Und man kann sich die Faustregel zu eigen machen, dass sobald man ein Konflikt mit dem Außen hat, dieser ein Hinweis auf einen Konflikt im inneren darstellt.

Ein spiritueller Mensch, schaut dann in sich hinein, und versucht zu erkennen, warum man mit dem Außen einen Konflikt hat. Ein politischer Mensch zeigt meistens mit dem Finger auf das Problem im Außen und sagt da ist das Problem. Zwei völlig konträre Ansatzpunkte, die zu argen Missverständnissen zwischen uns führen. Und beide nennen sich Erwacht.

Der wichtigste Punkt worauf wir uns vielleicht im Gespräch über gesellschaftliche und spirituelle Fragen einigen könnten, wäre, dass Erwachen zumindest beinhaltet, dass man verstanden hat, dass Veränderung bei sich selbst beginnen muss! Wie der Redner von gestern Abend schon sagte, man kann die Welt erst verändern, wenn man selbst ein gewisses Maß an Selbsterkenntnis und Freiheit erlangt hat. Erst dann hat man die Kraft, im Außen etwas zu verändern.

Was ich spannend fand, war dass ich überlegt habe, ob die Erkenntnis, vom System ausgebeutet zu werden, eben auch schon ein erstes feines Zucken des Erleuchtungsgeistes ist. Ein Wink des höheren Selbstes, welches einen aus dem Schlaf des Unbewussten wecken möchte. Dieses Rufen der inneren Stimme, vernehmen momentan sehr viele Menschen im Hinblick auf die Politik. Und man könnte sich natürlich fragen, ob da an der Stelle, das Erwachen beginnt. Vielleicht.

Nur reicht das eben nicht, für den Durchbruch der kritischen Masse. So viele Reden immer von dieser kritischen Masse, die nur erreicht sein muss. Es reicht nicht eine kritische Masse voller frustrierter Menschen zu haben, die mit dem Finger nach Außen zeigen. Menschen die noch nicht bewusst genug sind, um nach innen zu schauen, und ihren eigenen Anteil an diesem System anzuerkennen. Denn wenn da nur Frust ist, dann werden die gleichen Ego Strukturen, wieder die gleichen Spiele spielen. Das sieht man in Ländern, in denen ein Diktator durch den nächsten ersetzt wird.

Erst wenn man die eigene Persönlichkeit größtenteils durchschaut hat, kann man klar sehen. Und erst dann kann man Veränderungen in der Gesellschaft bewirken, die für alle Menschen eine Bereicherung sind. Wenn man vergisst, sich selbst zu durchschauen, dann beginnt das Spiel von Macht und Unterdrückung wieder von vorne.

Für mich war das jedoch ein befriedigender Gedanke, weil ich dadurch ich nicht mehr im Konflikt mit beiden Meinungen stehe. Es geht vielleicht darum, das Erwachen nochmal in konkrete Stufen zu unterteilen, damit man in der Lage ist, eine Sprache zu benutzen die Missverständnisse reduziert.
Und vielleicht fehlt den gängigen spirituellen Entwicklungsmodellen, da der Blick auf den Menschen im Bezug auf die Gesellschaft.

Wir brauchen erstens unbedingt unterschiedliche Begriffe, mit denen wir beide Formen des Erwachens differenziert betrachten und ausdrücken können. Ich würde daher vorschlagen, Begriffe wie politisches und spirituelles Erwachen zu verwenden, damit der Gesprächspartner versteht, was das Gegenüber ausdrücken möchte. 

Zweitens frage ich mich, wie kann man den Menschen, die das Ungleichgewicht in der Welt erkannt haben, den Weg nach innen zeigen? Ich bin gespannt, was ihr von meinen Gedanken haltet.

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